Wir stehen hier vor dem Silo auf dem ein Kunstwerk realisiert wurde. Lange Zeit hat der Bau niemand gestört und war kein Grund für eine ästhetische Beurteilung: Er erfüllt weiterhin seine Funktion als Getreidesilo, auch wenn er mittlerweile ausschließlich Bio-Getreide beinhaltet. Der Silo als sichtbares Objekt geriet erst ins öffentliche Licht als die Ortschaft nach der erfolgreichen Eröffnung des Thermenhotels von immer mehr Touristen besucht wurde die vom Hotel aus in Richtung Silo schauten. Dass dieses Hotel bei einem bekannten Architekten in Auftrag gegeben wurde, weist schon auf das neue Bewusstsein hin das sich in Laa an der Thaya verbreitet: Die Zeiten haben sich seit dem Bau des Silo geändert, und man will mehr für den Ort als ausschließlich Funktionserfüllende Bauten. Der graue Kubus muss aufgewertet werden, ohne ihn zu entfernen oder seine Funktion zu verändern. Das einzige was er bietet ist Fläche. Eine riesige graue Fläche, auf der alles möglich ist. Aber wer genau ist dieses „man“, das mehr will, und was genau ist da gewollt?
Sonia Leimer und Christian Mayer nahmen an den vom Land Niederösterreich ausgeschriebenen Wettbewerb mit der entschiedenen Haltung Teil, sich mit Kunst im öffentlichen Raum auseinanderzusetzen.
Die Voraussetzungen des Wettbewerbs bildeten eine Schnittstelle für ihre gemeinsamen Interessen: Die kulturelle, gesellschaftliche und geographische Situation der Ortschaft sowie die architektonische Realität des Silo öffneten ein spannendes Feld um die Artikulation von imaginären Räumen, kollektiven Vorstellungen und kulturellen Wandlungen in einem Werk zu fassen.
Die beiden Künstler bemerkten bei ihren ersten Besuchen in Laa die kulturelle emanzipatorische Lust die die Ortschaft äußert. Und entschieden sich dafür diese Lust, diesen Willen zur Veränderung so weit wie möglich zu fördern indem sie aus einem blinden Kubus eine Projektionsfläche für die Öffentlichkeit schaffen. Sie schlagen nichts weniger vor als ein Gesicht für dieses neue wollende „man“, oder anders gesagt, diese neue Öffentlichkeit, die Laa an der Thaya vorantreibt.
Das Plakat
Dieses Gesicht ist kein kleines Foto das man bei sich in der Brieftasche trägt, oder das man sich im Wohnzimmer aufhängt. Das Bild hängt draußen und bespannt eine ganze Fassade. Es ist 30 mal 14 Meter groß und mittels eines Grossdrucks aus der Werbetechnik realisiert, eine Technik die heutzutage oft genützt wird um Gebäude zu verhüllen, während diese umgebaut werden.
Leimer & Mayer stellen uns ein Gesicht einer möglichen Zukunft vom Silo in Laa an der Thaya vor. Das Gesicht zeigt ein Bild vom bekannten Silo der zwar sein Giebeldach verloren hat, aber einen unbekannten Überbau bekommen hat. Eine hyperrealistische Darstellung aus den feinsten Architekturprogrammen zeigt ein komplett verglastes Gebäude mit unheimlichen Winkeln, eine geometrisierte Wolke die knapp über dem Silo schwebt. Zwischen dem Silo und dem Objekt sehen wir eine Dachterrasse von der aus die fiktiven Besucher zu uns herüberschauen.
Der Text der neben dem Bild steht gibt der Imagination eine weitere Richtung: „Hier entsteht in Kürze das neue Museum für Gegenwartskunst Museum LAA an der Thaya.“ Eine öffentliche Institution, ein Raum für Kunst von jetzt soll hier eröffnet werden.
Der phantastische Überbau der das zukünftige Museum wie ein i-punkt abschließt, blendet den tatsächlichen architektonischen Eingriff, das verschwinden von der Silo Fassade, aus. Die KünstlerInnen wenden die spektakulären Mittel der gegenwärtigen Werbung bewusst an, doch die eindeutige Aussage fällt aus. Das spektakuläre Bild eröffnet ein ganzes Feld von Assoziationen, Metaphern, Ideen, Gedanken die weit über die vorgeschlagene Funktion des Baus hinaus reichen. So bewegt sich diese skulpturale Architektur mehr in Richtung eines Kunstwerkes, das der Betrachter interpretiert, kritisiert, in seine eigene Welt integriert. Was gesehen wird, was nur ein Bild mit einem Text ist, schafft ganz konkrete und aktuelle Gedanken über den Zustand und die Möglichkeiten der eigenen Welt.
Dass dieser Bau realisiert wird ist nicht realistisch, ob es ein Museum für Gegenwartskunst geben wird ist offen, aber es wurde durch dieses Bild ein ganz konkreter mentaler und sozialer Raum eröffnet. Dieser Raum ist so real, dass schon diskutiert wird, wer in der Region den Auftrag für die Glasflächen des neuen Museums bekommen hat!
Diese Diskussionen sind lokal, regional und auch überregional, da auch die Besucher der Therme das Bild sehen, so wie wir es von hier aus sehen. Der spektakuläre Effekt einer hochwertigen kulturprägenden Architektur, die der Identität des Ortes einen starken Mehrwert hinzufügt, wird hier direkt an der Oberfläche des Silos geschaffen (und das für einen Bruchteil der Kosten von dem, was so einen Bau tatsächlich kosten würde).
Der Titel “Elseworlds”
Leimer & Mayers Projekt dringt aber weiter hinein in das Imaginäre und verlässt die reine Oberfläche für ein merkwürdiges „dort“: „Elseworlds“, andere Welten, ist der Titel Ihres Projekts, Bezug nehmend auf eine Comics-serie wo Superhelden in andere Welten und Zeiten versetzt werden, zum Beispiel Batman der plötzlich Jack The Ripper im viktorianischen London jagt. Mit dem Titel betonen die KünstlerInnen die Spannung zwischen imaginären, fiktionalen Welten und der Darstellung von konkreten Projekten.
Die enthusiastische Offenheit des Bildes, das genauso aus einem Science-fiction Roman kommen könnte, mit der realen Situation gekoppelt, versetzt die Imagination in Bewegung. Und schon bildet sich in jedem Kopf eine andere Vorstellung: Andere Welten. Das Bild fungiert bald als leere Spielfläche für die Imagination und katalysiert einerseits den Wunsch der Bewohner ihre Ortschaft, wie auch immer, blühen zu lassen, anderseits für die Besucher ein Zeichen dafür das hier was passiert was die Gegend verändern und bereichern soll. Diese anderen Welten werden hier hinein projiziert, sie wirken aber überall dort wo über sie gesprochen wird.
Was dort in diesem Bild passiert, das sind Utopien, Orte die nirgends sind. Utopien sind Modelle, Erzählungen, die die Gesellschaft braucht um sich ein gemeinsames Bild zu machen, zu teilen von dem was man will. Und das ist vielleicht die erste Fiktion: Man ist jeder und keiner.
Dass das Bild so gross und sichtbar ist bekommt hier einen ganz anderen Sinn: Die angesprochene Menge die sich da was vorstellen wird. Jeder der es sieht ist gleichgestellt, doch jeder ist auch berechtigt sich etwas Eigenes vorzustellen was da passieren soll. Die KünstlerInnen geben uns nicht vor, was gemacht werden soll. Sie öffnen uns einen Raum in dem wir alle einzeln gleichberechtigt sind, uns etwas vorzustellen. Das Bild das wir hier sehen ist ein utopisches aber lebendiges Museum von allen unseren Vorstellungen dessen was an diesem Ort kulturell passieren kann. Was passieren soll sagen Sie uns nicht, da sie nicht mehr wissen als wir. Wie all diese Vorstellungen real werden ist hier auch schon angedacht.
Das öffentlich platzierte Buch
Das Bild wird noch eine andere Tiefe erhalten. In den nächsten zwei Jahren werden Christian Mayer und Sonia Leimer öfters in Laa zu sehen sein. Während das Bild hier am Silo als Denkmal für die immer gegenwärtig geöffnete Zukunft wirkt, werden sie sammeln: Vorstellungen, Eindrücke, Ideen, Gerüchte. Sie werden auch draußen suchen und recherchieren was passiert ist. Sie werden sich, wie wir, etwas vorstellen und dem nachgehen. Und wenn das Bild dann in zwei Jahren abgehängt wird, wird wie gezaubert in allen möglichen öffentlichen Räumen dieser Stadt ein Buch auftauchen. Ein Buch das aus ihrer Perspektive das utopische Museum dokumentiert. Eine Verbildlichung von dem, was Jede und Jeder macht, wenn er erzählt was er am Silo gesehen hat. Wie das Bild sich in viele andere Bilder verteilen wird und noch so viele Gespräche heimsuchen wird.
Die Öffentlichkeit die Leimer & Mayer produzieren ist eine recht gesprächige, zu der jeder Zugang hat. Um dabei zu sein muss man lediglich seine Vorstellungen mitbringen und keinen anderen für sich etwas erzählen lassen. Jede Stimme die sich enthält ist eine Welt weniger. Durch diese Maschine fürs gemeinsame Imaginieren trifft die Vielfalt von Welten aufeinander. Dieses Treffen wird sich aber auch auf eine ganz konkrete Weise realisieren müssen. Das utopische Museum, aus dem „Nirgendwo“, wird in 2 Jahren hier seine Materialisierung finden: In 2 Jahren wird das Bild abgehängt, und es werden nur die Spannschienen vor der grauen Fassade, das imaginäre Brachland, bleiben.
Die Kürze in der das Museum hier entsteht ist die, die gebraucht wird um sich das Museum und seinen Inhalt selbst vorzustellen und es mitzuteilen. Für manche steht es schon, andere sind mitten im Umbau, usw… Zwei Jahre sind eine absehbare Zeit, zwischen jetzt und bald, um diese ganzen anderen Welten zu besuchen. Und um herauszufinden welche kollektive Collage, welcher gemeinsame Wille hier auf dem Silo seinen Platz findet
Eröffnungsrede gehalten am 13. September 2008, Yves Mettler
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