Text von Konrad Bitterli zur Eröffnung
Artikel Zofinger Tagblatt 3. August 2007
Selbst eine Geschichte speichern

A tunnel for all the stories

As a permanent public art commission, the project considers the building of a deviation tunnel and the history of the town of Aarburg (www.aarburg.ch) at the precise crossing of the north-south route from Basel to Chiasso and the east-west route from Bern to Zurich.
The pavillion is built on the top of the central tunnel entrance and is situated as a narrative and symbolic interface between the local life and the alien transit.

The project is a collaboration with Bunq Architectes (www.bunq.ch, Rolle, Switzerland). The project won the invited competition launched by the canton of Aargau, Switzerland, in 2006. It has been inaugurated on January 24th 2008.

Following article has been published in the local news to present the project and launch the collection of private stories around the question of what makes of feel at home or as an alien. The stories will be randomly told by a distant server which collection of stories has to be permanentely updated by the citizens trough a web-based interface (1000stimmen-tunnel.aarburg.ch), otherwise the pavilion will become silent:

Aarburg: Ein Objekt unter Aufsicht der Öffentlichkeit

Über dem OKUA-Portal an der Bahnhofstrasse werden Geschichten erzählt…

Yves Mettler, ein junger Schweizer Künstler, der in Genf und Berlin lebt, hat den Wettbewerb „Kunst im öffentlichen Raum“ bei der Ortskernumfahrung Aarburg gewonnen. Er erklärt, was es mit der Skulptur über dem Tunnel-Portal auf sich hat und geht auf Textsuche.

Mit dem Bau der Ortskernumfahrung Aarburg führte der Kanton einen Wettbewerb für Kunst im Öffentlichen Raum durch. Es ging nicht nur darum, den funktionalen Bau mit einem Kunstobjekt zu verschönern, sondern die OKUA mit der Öffentlichkeit zu verbinden. Als Künstler war es mir wichtig die Veränderung die dem Städtli bevorsteht preiszugeben und sichtbar zu machen. Das Objekt sollte eine bewusste Verbindung herstellen zwischen dem neuen Bau und die Erfahrung, die Geschichte und Geschichten aus Aarburg.

Begehbare Skulptur aus Häusern und Tunnel

Ein Raum ist nie neutral, er hat immer eine Geschichte: Er wird bestimmt von den Menschen die sich darin einrichten und leben. Eine Veränderung von diesem Raum ist dann eben auch nie neutral, und verändert, vertieft, wie auch immer, die Bestimmung von diesem Raum. Der Bau der OKUA vertieft nochmals die Geschichte von Aarburg in Beziehung zum Verkehr, ein Thema das die ganze Schweiz durchdringt. Dieser Bau wird die Beziehung vom Städtli zum Verkehr tief verändern. Was danach passieren wird ist noch offen und lässt von einem neuen Leben, von einer neuen Ära träumen. Die Skulptur soll diese geschichtliche Bestimmung und den kommenden Träumen preisgeben und öffentlich machen. Die begehbare Skulptur aus Häusern und Tunnel beherbergt zugleich den unheimlichen Ausblick auf den Transitverkehr und die Erzählungen der Aarburger.

Dieser neue Ort wird nicht nur ein Ort der Erinnerung sein, sondern auch der aktiven Erzählung. Die Sammlung der erzählten Geschichten wird unendlich erweiterbar und bestimmbar sein. Es ist ein bisschen wie ein Garten der unter der Aufsicht der Öffentlichkeit steht, weil diese Geschichten eben von Aarburgern geschrieben werden, von jenen Leuten, die mit Aarburg etwas erlebt haben. Es wird jedermann/-frau dazu eingeladen zu erzählen wie er nach Aarburg gekommen ist, von Aarburg gegangen ist; wo Aarburg in der Welt liegt; wer oder was durch Aarburg wanderte, oder nie ankam. Erzählungen, die die Vergangenheit beschreiben oder die Gegenwart verfolgen, öffentlich oder ganz persönlich, aber auch von der möglichen Zukunft schwärmen. Sie alle werden gesammelt und in der Skulptur immer wieder abgespielt, und immer wieder kommen neue Geschichten dazu.

Texte gesucht

Wir suchen kleine Texte zwischen 1’200 und 6’000 Zeichen (ohne Leerzeichen)
zu den Stichwörtern Brücken, Strassen und Tunnels in und um Aarburg; Reisende, Touristen in Aarburg; Aarburg und die weite Welt; Warum, wie kam man nach Aarburg? Warum musste man, wollte man weg von Aarburg? Was erinnerte mich an Aarburg als ich woanders war? Womit verbinde ich Aarburg? Aarburg auf dem Weg zwischen Norden und Süden; Aarburg und seine Zukunft; Meine Zukunft in Aarburg; Was mit der Aare durch Aarburg passierte und passieren wird; In Aarburg Ferien machen; In Aarburg arbeiten; Auf dem Wanderweg um Aarburg; In der Aalnacht; An der Woog; Vor der OKUA; Die Baustelle der OKUA; Seit der OKUA; In Aarburg bauen; Aarburg und seine Nachbarn; ...

Schon ein Bild im Sinn? Dann nichts wie los. Die Geschichten können sie ab jetzt schon an die Gemeinde, Email zentraledienste (at) aarburg.ch oder per Email an geschichten (at) theselection.net schicken.
Die Geschichten-Sammlung wird diesen Sommer anfangen. Und am diesjährigen Wasserfest lade ich Sie persönlich ein das Projekt kennen zu lernen und dazu beizutragen, damit wir die Skulptur mit einem festen Bestand von Geschichten im Oktober gemeinsam eröffnen können. Am Wasserfest werde ich anwesend sein, bereit alle Ihre Fragen zu beantworten. Ich erwarte alle Neugierigen, die sich mit ihrem Ort auseinandersetzen wollen.

Yves Mettler

Tunnel mit Stimmen

Zu Yves Mettlers Installation für Aarburg

Von Konrad Bitterli

 

Tal- und Bergstation, Zone résidentielle, Pont Bessières… Die aus Wellpappe zugeschnittenen und zu dreidimensionalen Strukturen zusammengefügten Objekte wurden in den vergangenen Jahren gleichsam zum Markenzeichen des in Berlin lebenden Künstlers Yves Mettler (*1976 in Morges). In ihrer Machart erinnern sie zwar an Architekturmodelle, können allerdings monumentales Format annehmen wie Pont Bessières 2006 im Musée des Beaux-Arts in Lausanne, oder sie breiten sich als mehrteilige Ensembles in Ausstellungsräumen aus wie Zone résidentielle im selben Jahr im Kunstmuseum St.Gallen. Yves Mettlers Objekte markieren entschieden Distanz zur Anschauungsfunktion von Architekturmodellen wie zum Autonomieanspruch zeitgenössischer Skulptur. Zudem erweitert der Künstler seine Dingwelt um die  entscheidende Dimension der Sprache. So unterhalten sich beispielsweise Tal- und Bergstation in aberwitzigem Wortwechsel über alltägliche Dinge, über ihre momentane Befindlichkeit, ihr Dasein, aber auch ihre Existenzängste. Neuigkeiten, aber auch Tratsch werden ausgetauscht und ganz beiläufig Probleme gesellschaftlicher Mobilität angetippt.

 

Was geschieht, wenn sich der Künstler nicht in Modellanordnungen den genannten Fragen stellt und dies zudem ausserhalb der Sphäre der Kunst, einer Galerie oder eines Museums, tut, ist nun erstmals im schweizerischen Aarburg zu erfahren, konkret an einem Ort, wo gesellschaftliche Mobilität mit all ihren positiven wie negativen Auswirkungen täglich erfahren wird.

 

Aarburg ist den meisten Schweizreisenden bekannt, zumindest die mächtige Festung aus dem 12.-16. Jahrhundert auf einem hohen Felssporn ist von Weitem sichtbar. Darunter breitet sich zwischen Aare und Burg das überschaubare Städtchen aus, das im Ortsnamen die beiden geographischen Wahrzeichen vereint. Die Lage am Fluss sowie der sich verengende Weg prädestinierten zur historischen Zoll- und Umschlagstelle und waren Jahrhunderte später Voraussetzung für die Ansiedlung von Gewerbe und Industrie. Dank der Nähe zu den regionalen Wirtschaftszentren Zofingen und Olten sowie den nationalen Hauptverkehrsachsen entwickelte sich die Gemeinde in jüngster Vergangenheit zum attraktiven Wohnort mit den üblichen, sich ins Grüne ausdehnenden Ein- und Mehrfamilienhausquartieren. Kurz: Aarburg wurde zur typischen, zuweilen ein wenig anonym wirkenden Siedlung im schweizerischen Mittelland – mit all den Problemen, die sich solchen Orten stellen, insbesondere dem zunehmenden Strassenverkehr. Dieser hatte sich nämlich während Jahren mühsam durch das historische Städtchen zu quälen. Dem schafft nun eine Ortsumfahrung Abhilfe. Und in diesem Zusammenhang konnte Yves Mettler seinen 1000-Stimmen-Tunnel als künstlerische Intervention realisieren.

 

Bereits Jahre zuvor, 2005, listete der Künstler in der Installation Die Stadt scheinbar wahllos einzelne charakterisierende Stadt-Bezeichnungen auf. Einige dieser Adjektive dürften dabei durchaus auf Aarburg zutreffen, etwa „Kleine Stadt“, „Befestigte Stadt“ oder „Durchlöcherte Stadt“. Letztere könnte man auf die beiden Untertunnelungen der neu eröffneten Ortsumfahrung beziehen: Die eine führt von der Autobahnauffahrt Richtung Norden, die andere durchstösst den Burghügel, um den Verkehr direkt weiter auf die Hauptstrasse nach Olten zu leiten. Auf einem der Portale in der Nähe des Bahnhofes hat Yves Mettler seinen 1000-Stimmen-Tunnel als raumgreifende Skulptur platziert. Dabei handelt es sich im Grunde um eine Art begehbarer Pavillon. Sie besteht aus vier aneinandergereihten handelsüblichen Betonringen von 350 Zentimetern Durchmesser, die in einem komplexen Oberflächenbearbeitungsprozess eingetönt wurden, um den Eindruck von Erdfarbigkeit zu erzeugen. Die vor allem im Tiefbau verwendeten, für gewöhnlich nicht sichtbaren Elemente bilden in ihrer Reihung die Grundstruktur des Pavillons. Durchbrochen werden die Ringe von Zwischenteilen aus Lärchenholz, welche im Profil an anonyme Einfamilienhäuser erinnern. Als Ganzes bilden Röhren und Profile einen mäandernden Tunnel, der, auf einem der Tunnelportale der Umfahrungsstrasse platziert, die Tunnelsituation gewissermassen verdoppelt – für den Strassenverkehr den Strassentunnel, für die Spaziergänger den Stimmen-Tunnel. Abgeschlossen wird er durch ein Panzerglas, das den Blick freigibt auf die Umfahrungsstrasse und das neu erstellte Verkehrskreuz: ein Pavillon als Schutzraum vor dem drohenden Verkehrskollaps oder als Ausguck auf die wachsende Mobilität?

 

Betritt man das Innere der Tunnelstruktur, so finden sich im Bereich der Holzprofile einladende Sitzbänke mit auf Kopfhöhe montierten Lautsprechern. Über diese sind Stimmen zu hören, die verschiedene Geschichten von und über Aarburg erzählen. In Kooperation mit der Gemeindeverwaltung, der Stadtbibliothek und dem Historischen Museum hat der Künstler Einwohner nach ihren persönlichen Erinnerungen an Aarburg gefragt: Woher kommen Sie? Kennen Sie Aarburg? Seit wann ist Aarburg ihr Zuhause? Was ist in Aarburg passiert? Mit welchem Ort auf der Welt möchten Sie Aarburg durch einen Tunnel verbinden? Wie sieht Aarburgs Zukunft aus? Genauso wie in seinen Modellarchitekturen bringt Yves Mettler im 1000-Stimmen-Tunnel die Architektur zum Sprechen, in diesem Fall indes die reale. Im Gegensatz zu ersteren handelt es sich beim Aarburger Projekt nicht um vom Künstler ersonnene Geschichten. Die Bevölkerung wird vielmehr aktiv in den Werkprozess mit einbezogen, indem der Künstler sie auf einer eigens eingerichteten Homepage zum Verfassen ihrer persönlichen Geschichten einlädt, die anschliessend vom Computer mittels künstlicher Stimmen umgesetzt und so im 1000-Stimmen-Tunnel hörbar werden. Die Geschichtensammlung bleibt jedoch, einmal eingerichtet, nicht statisch, sondern soll sich permanent verändern und weiter entwickeln. Bei diesem Prozess ist die Bevölkerung über die Einweihung des Kunstwerkes hinaus direkt und dauernd gefordert – nicht nur als passiver Kunstkonsument, sondern letztlich als Mitproduzent im Werk. Die Geschichtensammlung wird nämlich durch ein Computerprogramm dergestalt gesteuert, dass sich die einzelnen Erzählungen in gewissen Abständen wiederholen. Werden jedoch keine neuen Geschichten mehr ins System eingespeist, verstummt die Arbeit mit der Zeit, langsam aber sicher.

 

Verschiedentlich hat Yves Mettler in seinem Werk den öffentlichen Raum thematisiert, so 2001 in Eine Rundfahrt in Wien, als er kurze absurde Begebenheiten während einer Stadtrundfahrt inszenierte. Ein Jahr später erklärte er in Les Roncières einen urbanen Restraum zwischen World Trade Center, Autobahn und Flughafen in Genf zum „projet d’habitation“ und gestaltete ihn vorübergehend mit einer trendigen Partylounge zum „Temporär-Habitat für findige Restraum-Explorer“ (Ralf Beil) um. Oder 2005 definierte er mittels Bauabsperrungen in Nationalfarben einen sich vom Churer Stadtzentrum bis an die Peripherie langsam ausdehnenden Europaplatz. Alle diese Projekte zeichnen sich durch ihren temporären Charakter aus. Im Gegensatz dazu gilt die überlieferte Tradition des Denkmals, aus der sich im Grunde die sogenannte „Kunst am Bau“ oder „Kunst im Aussenraum“ im Grunde entwickelte, als eher dauerhafte Einrichtung, weshalb sie gelegentlich etwas bösartig als Möblierungen des öffentlichen Raumes bezeichnet wird. Yves Mettler gelingt es in seinem raffiniert angelegten Aarburger Projekt 1000-Stimmen-Tunnel, permanente Erneuerung und temporäre Traditionen sinnstiftend miteinander zu verschmelzen. Dabei dehnt er die Konventionen von Kunst im öffentlichen Raum, indem er die Frage nach deren Funktion dank partizipativen Momenten grundlegend neu denkt und dabei die Bevölkerung aktiv in den Sinnstiftungsprozess mit einbezieht, mehr noch, sie als Mitproduzenten herausfordert, mit ihren Geschichten die Kunst am Leben zu erhalten.

 

Aber was erwartest du denn von einem Platz? Mir scheint, dir schwebt ein archaischer Platz der Öffentlichkeit, des öffentlichen Diskurses vor.

Aus: Yves Mettler. Europaplatz (Lausanne)